Kapitel 7

11.4 Arthur Villards Entwicklung zur schweizweit bekannten Symbolfigur des Nonkonformismus

Das gewalttätige Vorgehen gegen die IdK-Aktivisten in Ins beschäftigt Villard – aus Sorge vor ähnlichen Vorfällen reicht er im Grossen Rat eine schriftliche Anfrage betreffend berntreue Bürgerwehren im Jura ein. Deswegen schliessen ihn die SP-Grossräte im November 1967 vorübergehend aus der Fraktion aus. Doch unbeirrt verfolgt er seinen Weg weiter. Im Oktober 1968 organisiert die IdK im Restaurant St.-Gervais einen Anlass zum Thema «Gewalt und Gewaltlosigkeit in unserer Zeit». Der südvietnamesische Menschenrechtler Vo Van Ai berichtet über die Unterdrückung der Buddhisten in seiner Heimat, der Schweizer Pazifist René Bovard verurteilt den Einmarsch der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in die Tschechoslowakei. Als Gegner der US-Intervention in Vietnam hält Villard am 13. September 1969 die Hauptrede im Rahmen der nationalen Kundgebung gegen den Besuch des US-Generals Westmoreland in Bern. Weil er in dieser Rede zur Militärdienstverweigerung aufgerufen haben soll, wird Villard eingeklagt und 1971 in zweiter Instanz zu einem Monat Gefängnis unbedingt verurteilt. Schon während des Prozesses in erster Instanz erklären 77 Wehrmänner, aus Solidarität mit dem Angeklagten ihrerseits den Wehrdienst zu verweigern.1 Eine besondere Würdigung erfährt Villard am 25. Oktober 1969, als Friedrich Dürrenmatt den «Grossen Literaturpreis des Kantons Bern» erhält: Dürrenmatt gibt den Preis an die Nonkonformisten Sergius Golowin, Paul Ignaz Vogel und Arthur Villard weiter. 1972 widmet Dürrenmatt dem Bieler Pazifisten sein drittes «Psalm-Gedicht».2 Auch in der sozialdemokratischen Partei nimmt Villards Einfluss zu: 1970 wird er in den Vorstand der SP Schweiz gewählt, 1971 setzt er sich mit Erfolg dafür ein, dass die SPS die Initiative «für vermehrte Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot» unterstützt. Vor den Nationalratswahlen 1971 wird Villards Kandidatur für den Nationalrat in breiten Kreisen begrüsst. Am 31. Oktober wird er mit 97’000 Stimmen gewählt, also mit der sechshöchsten Stimmenzahl aller Parlamentarier/innen.3

11.5 Das Zivilverteidigungsbuch – ein letzter und vergeblicher Kraftakt der «Geistigen Landesverteidigung»

1969 lässt der Bundesrat ein Buch in einer Auflage von 2,6 Millionen Exemplaren drucken. Im Herbst beginnt der Versand des Werks an alle Haushalte der Schweiz, zudem soll es künftig an alle Zivilschutzpflichtigen und an alle Brautleute abgegeben werden. Auf dem rot eingefärbten Büchlein prangt in weissen Lettern neben einem Schweizer Kreuz der Titel «Zivilverteidigung». Ähnlich wie während der «Geistigen Landesverteidigung» kurz vor dem Zweiten Weltkrieg soll mit dem Werk der Widerstandsgeist gegen die Bedrohung von aussen in der ganzen Bevölkerung gefördert werden. In der ganzen Bevölkerung? Viele Leserinnen und Leser nehmen mit Empörung zur Kenntnis, dass in «Zivilverteidigung» ein bedeutender Teil der Bevölkerung als «nützliche Idioten» des Feindes dargestellt wird. Etwa jene, die sich gegen den Atomtod und gegen Waffenplätze, aber für sozialen Wohnungsbau und
kürzere Arbeitszeiten einsetzen. Denn hinter ihnen, so «Zivilverteidigung», stecken «Adolf Wühler» und «Erich Quiblinger», willige Werkzeuge der «Partei des Angreifers» (PdA), die alles daransetzen, «einen Keil zwischen das Volk und die Behörden zu treiben».4
Ein Sturm der Entrüstung ist die Folge. Für die katholische Zeitung «Il Giornale» zum Beispiel sind solche Inhalte «eine typisch faschistische Konstruktion». «Zivilverteidigung» wird in Massen zum Altpapier gelegt oder an den Absender retourniert. Mancherorts wird das Werk gar öffentlich verbrannt. Die breite Kritik am Zivilverteidigungsbüchlein macht klar, dass die Vereinheitlichung der Gesellschaft nach dem Muster der 1950er-Jahre zum Scheitern verurteilt ist.5

Quellenangaben:
1 Arbeitsgruppe «Arthur Villard 100-jährig» (2017). Arthur Villard. Ein Leben für Frieden und Gerechtigkeit. Herausgegeben aus Anlass seines 100. Geburtstages. Biel, Eigenverlag, S. 26
2 Arbeitsgruppe «Arthur Villard 100-jährig» (2017). Arthur Villard. Ein Leben für Frieden und Gerechtigkeit. Herausgegeben aus Anlass seines 100. Geburtstages. Biel, Eigenverlag, S. 24
3 Arbeitsgruppe «Arthur Villard 100-jährig» (2017). Arthur Villard. Ein Leben für Frieden und Gerechtigkeit. Herausgegeben aus Anlass seines 100. Geburtstages. Biel, Eigenverlag, S. 28
4 Bachmann A. und Grosjean G. (1969). Zivilverteidigung, Miles Verlag, Aarau, S.228ff
5 Di Falco D. (2019). «Krieg oder Frieden? Wir wissen es nicht». In: NZZ Geschichte 23, Juli 2019